
Im Frühjahr 2025 durfte ich an mehreren Exkursionen zum Hungerberg in der Nähe von Colditz teilnehmen. Er liegt umgeben von Feldern südlich von Colditz, etwa zwischen den Orten Möseln und Hohnbach.
Ein älterer Einwohner in Möseln sprach, als wir nach dem Weg fragten, vom „alten Steinbruch da oben“. Es sieht aber nicht aus wie ein typischer Steinbruch. Traditionell wurden früher als Steinbruch auch alte Bauwerke (Burgen, Klöster, Kirchen, vielleicht auch vorchristliche Stätten?) bezeichnet, die ihre ursprüngliche Funktion verloren hatten und zur Gewinnung von Baumaterial freigegeben worden waren.
Auf den Karten erkennen wir ein regelmäßiges, über der Muldenaue erhobenes Gelände mit einem relativ mittigen Hügel, der Hungerberg ist 205m ü.NN. Auf der gesamten östlichen Seite wird es von der Zwickauer Mulde umrundet, südlich befindet sich der Schwarzbach, der in die Mulde mündet. Nördlich und westlich befinden sich der Kohlbach sowie eine Kette von Teichen, was auf niedrigeres Gelände hinweist sowie darauf, daß hier früher das Wasser wohl (zumindest zeitweise) viel höher stand. Vielleicht war das fünfeckige Plateau früher sogar komplett von Wasser umrundet. Auf jeden Fall war es ein Ort, der gleichzeitig geschützt, aber auch exponiert weithin sichtbar lag.

Kartenausschnitt aus Geoportal Sachsenatlas – links der pfeilförmige Hungerberg mit seiner wellenartigen Struktur, rechts unten der Ort Möseln
Was sagen die Forscher? Der Name „Hungerberg“ könnte über die Jahrhunderte mundartlich verwässert worden sein und ursprünglich der „Hunoberg“ gewesen sein. Huno (althochdeutscher Wortstamm hun) ist der alte germanische Hundertschaftsführer, der einer Gemeinschaft von etwa 100 freien Bauern vorstand. Er war der gewählte stärkste, kampferfahrenste und weiseste Anführer, gleichzeitig Schlichter und Richter. Berg ist auch ein Name für das Geborgene. So kann der Name Hungerberg auf einen früheren Thing- und Gerichtsplatz der umliegenden Bauernschaft hinweisen. Der Thingplatz war auch immer geschützt (geborgen) durch eine optische Kennzeichnung, Zutrittsrechte und den Thingfrieden.

Kartenausschnitt Sachsenatlas Schummerung – hier schön sichtbar die plastische Darstellung der Geländesituation ohne Bewuchs und Gebäude
Eventuell ergibt sich hier auch eine Beziehung zum nebenan gelegenen Ort Hohnbach. Er weist auch den alten Wortstamm hun auf, dazu kommt bag = Gericht. Vielleicht ein Wegweiser zum Versammlungs- und Gerichtsplatz, vielleicht der Wohnsitz des Hundertschaftaführers. (weitere Ausführungen und Herleitung der Ortsnamenbedeutungen unter (1))
Reine Spekulation ist natürlich auch die Beziehung zum Titibutzie auf der gegenüberliegenden Seite der Mulde. Der Hungerberg weist die Form einer Pfeilspitze auf, die genau auf die höchste Felsspitze der alten Wallanlage zeigt.
Derzeit weist der Hungerberg Gräben auf, auf der oberen Karte gut zu sehen. Diese könnten neuzeitlich sein, evtl. wurde die Erhöhung militärisch genutzt, weil man von dort einen weiten Blick ins Land hatte, und zum Sichtschutz wurden die Vertiefungen in den Berg gegraben. Von Einwohnern haben wir z.B. erfahren, daß im 2. Welkrieg auch gegenüber auf dem Titibutzie ein Geschütz aufgestellt war. Ich kann mir vorstellen, daß der Hügel früher mit einer ebenmäßigen Kuppe ausgestattet und ohne die Erdaushebungen auch höher war als heute.
Man hat von dort gute Sichtachsen zu umliegenden Erhöhungen. Und ein spektakulärer Fund direkt auf dem Hungerberg weist auch auf eine sehr frühe Nutzungsmöglichkeit hin – astronomische Beobachtungen.
- Wenn man genau hinschaut, gibt es auf dem Stein noch weitere, große und kleine, rundliche Ausarbeitungen.
Wir haben einen Näpfchenstein mit einer größeren Schale und 2 kleinen runden Näpfchen. Es fällt sofort ins Auge, daß sie in einer Linie liegen. Es gibt gesamteuropäisch Funde von Näpfchensteinen und Schalensteinen und Hinweise auf deren astronomische Nutzung. Sie wurden zur Kennzeichnung von Sonnen- und Mondauf- und – untergängen mit Hilfe der Näpfchenanordnungen benutzt. Natürlich liegt der Näpfchenstein in der Mulde des Hungerberges nicht mehr an seiner Ursprungsstelle. Hier einige Bilder, wie es derzeit auf dem Hungerberg aussieht:
- Blick von der Grundwasseranlage Richtung Südost zur Mulde mit den Steinen
- die Grundwasseranlage mit Blick nach Nordwest Richtung Hohnbach, hinter den Bäumen weiter Blick ins Land
- Blick von der vorderen „Mulde“ nach Nordwest, Richtung der Grundwasseranlage
- südwestlicher Abhang – die ganze Anlage wirkt unaufgeräumt
Wir haben diese Gräben, die den Berg ungefähr bis zur Mitte durchziehen. Auf der nordwestlichen Seite wurde ab 1927 ein Wasserhochbehälter für die Wasserversorgung von Hohnbach gebaut. Im südöstlichen Teil, der in einer größeren runden Mulde endet, liegen Baumstämme kreuz und quer. Dazwischen jede Menge große Steine verschiedenen Ursprungs. Wir haben sie vorsichtig von Moos und Erde befreit. Wir kamen uns vor, als stünden wir in einem Riesen-3D-Puzzle.
- Stein mit großer Schale
- ein Stück eines runden steinernen Beckens?
- ausgearbeitete rundliche Mulden
- rundliche Ausarbeitung
- eine „Wellenkante“
- ein tief in den Stein reichendes Loch
- mehrere rundliche flache Ausarbeitungen
- Steinplatte mit regelmäßigen Kanten
- ein „Sitzstein“
- ein Viertelstein
Der Hungerberg hat eine wechselvolle Vergangenheit gesehen: als prägnante Erhöhung in dem Gelände über der Muldenaue – vielleicht früher nur mit dem Schiff erreichbar – wurde er von unseren Altvorderen vor vielleicht 6.000 – 7.000 Jahren für Himmelsbeobachtungen genutzt, Zu dieser Zeit entstanden europaweit zahlreiche steinerne und hölzerne Bauwerke, mit deren Hilfe unter Einbeziehung geographischer Gegebenheiten Sonnen- und Mondstände beobachtet und fixiert wurden (durch Holzpflöcke, stehende Steine und vielleicht auch Näpfchen). Später scheint dieses Wissen verloren gegangen zu sein. Astronomisch genutzte Stätten wurden zu Stätten des Mythos. In dieser Zeit haben unsere Vorfahren noch gewußt und gespürt, daß dieser Berg wichtig ist. Er wurde zur Thingstätte. Sie haben sich auf dem Berg getroffen, um wichtige Dinge für ihre Gemeinschaft oder ihren Stamm zu besprechen, Gericht zu halten, zu feiern. Bereits in diesen Zeiten muß es hier Bauten oder Anordnungen – in welcher Form auch immer – aus Stein gegeben haben. Von den Christen zur Zeit der Zwangschristianisierung wurde dieser Ort scheinbar nicht entdeckt, zumindest hat es hier kein christliches Bauwerk gegeben. Vermutlich war es auch nie ein Heiliger Ort zur Gottesverehrung oder Ritualdurchführung. Den würde ich vielleicht eher auf den Titibutzie verorten. Wer weiß?
In den stürmischen Zeitläuften von Kriegen, Völkerwanderungen, Eroberungen bishin zu den fürchterlichen beiden Weltkriegen wurde der Berg als strategischer Punkt im Gelände mißbraucht.
Dann vergessen…
Doch die Steine liegen dort mit ihren Bearbeitungsspuren, – wahrscheinlich nur Reste, die anderen wurden als „Steinbruch“ verwertet, – und warten darauf, daß jemand kommt und zuhört. Gibt es eine Möglichkeit, das „Puzzle“ zusammenzusetzen?
Hast Du Ideen und Anregungen oder auch weiterführende Informationen zu diesem Thema? Dann freue ich mich über Deine Zuschrift an info@hobby-kreativ.de
Quellen und Inspiration:
Rainer Schulz „Thing- und Kultplätze im Muldental – die Bedeutung der Ortsnamen“, 1. Auflage 2021, Hagal-Selbstverlag