Quedlinburg im Nordharz ist für mich der Inbegriff einer uralten und wunderschönen, mit ihren Aufgaben gewachsenen Stadt, voller begreifbarer und ansehbarer Geschichte – Du wandelst praktisch in der Vergangenheit -, voller Überlieferungen, die Dir die Fassaden der Fachwerkhäuser aus 8 Jahrhunderten zuraunen. Majestätische Kirchen, verwinkelte Kopfsteinpflastergassen, kleine Plätze, romantische Hinterhöfe – und natürlich 2100 Fachwerkhäuser!

Komm mit und laß Dir einige der kostbaren Fachwerkhäuser zeigen, außerdem einen richtig alten Dom (der seinerseits bereits der 4. Bau an dieser Stelle in Folge ist), und zum Schluß gibt es eine Empfehlung zum Beine ausruhen und dabei verführerischste Kuchen kosten!

Fachwerkhäuser strahlen immer Harmonie und Gemütlichkeit aus. Der warme Baustoff Holz wirkt anheimelnd und urtümlich, dabei grundsolide. Die Gestaltung der Fassaden mit den unterschiedlichen Balkenanordnungen ist sehr individuell, wirkt jedoch immer perfekt ausgewogen. Als hätte hier jeder Bauherr seine eigene Sprache gefunden.

Doch tritt auch einmal noch etwas näher heran, dann siehst Du Sonnen, Sterne, Lebensblumen, Ornamente in die Balken eingeschnitzt!

Um nur einige Beispiele zu zeigen – die ganze Stadt ist voll davon. Überlege Dir mal, mit welcher Sorgfalt und welchem Geschick sie die Verzierungen wohlüberlegt ausgewählt und gefertigt haben. Das mußte ihnen von großer Bedeutung sein. Sie hatten Kenntnisse von der Symbolik, von der Heiligen Geometrie. Ich bin der festen Überzeugung, daß jedes dieser Häuser „spricht“, es erzählt etwas über seinen Erbauer und seine Wünsche.

Meistens ist es hier in Quedlinburg natürlich sehr betriebsam, viele Besucher durchwandern die Stadt, bevölkern die Cafés, Galerien und Plätze, ist doch Quedlinburg Weltkulturerbestadt, eines der größten Flächendenkmale Deutschlands und ein herausragendes (und auch im Herzen berührendes) Beispiel für die bis heute erhaltene mittelalterliche Stadtstruktur. Quedlinburg ist quasi ein Gesamtkunstwerk! Von unseren Altvorderen auf Heiligem Boden angelegt, von Generation zu Generation weitergegeben und gewachsen, und heute bewahrt und behütet wie ein Kleinod.

Jedoch schlenkerst Du abseits der geführten Wege, schaust in die Toreingänge und Höfe, entdeckst Du abseits des Trubels auch Nischen zum Durchatmen, überraschende Ein- und Durchblicke:

Eine unbedingte Empfehlung, die ich Dir mitgeben möchte, wenn Du Quedlinburg besuchst und begeistert von der Fachwerkbauweise bist – das Fachwerkmuseum.

Bei Wikipedia gibt es eine „Liste von Fachwerkhäusern des 13. Jh. in Deutschland“ – das sind gleichzeitig unsere 21 ältesten Fachwerkhäuser, frühere sind nicht bekannt. In der Liste steht das Quedlinburger Haus mit der Adresse Hölle 11, es ist von 1215 / 1301. Kannst Du Dir vorstellen, wie alt das ist? Sensationell! Ist es nicht ein Wunder, daß diese Häuser noch da sind? Das nächstälteste erhaltene Fachwerkhaus der Stadt ist ein Ständerbau von 1347, dort ist das Fachwerkmuseum untergebracht. Hier bekommst Du Einblicke in die prinzipielle Bauweise sowie Variationen und Weiterentwicklungen im Laufe der Jahrhunderte. Unten in den Quellen findest Du einen Link zum Museum.

Ansicht von St. Servatius, Photo von Avda, www.avda-foto.de, über Wikimedia Commons

Über den Quedlinburger Dom ist alles, was man über ihn weiß, vielfach nachzulesen. Jedoch geht nichts über ein eigenes Besuchen, Durchstreifen, Bewundern und Einfühlen in diesen beeindruckenden „romanischen“ Sakralbau. Was Du vielleicht noch nicht weißt: der heutige Dom hatte mehrere Vorgängerbauten, immer an derselben Stelle. Warum hier?

Auf dem Gebiet der heutigen Stadt Quedlinburg gibt es zahllose Siedlungsfunde, die bis in die Altsteinzeit zurückreichen, d.h. älter als 10.000 v.Chr. Die Menschen siedelten hier durchgängig, also müssen sie diesen Platz schon immer schön gefunden haben: im geschützten Harzvorland, durchzogen von zahlreichen Flüssen, gesegnet mit gutem fruchtbarem Boden haben sie sich hier im Einklang mit der Natur und ihren Wesen niedergelassen. An erhöhten Plätzen, vor dem Wasser geschützt, haben sie Plätze mit besonderer Energie gefunden, die es ihnen ermöglichte, mit ihren Ahnen, Göttern und Naturwesen in Verbindung zu treten. Dort trafen sie sich, um Gemeinschaft zu pflegen, Recht zu sprechen, Entscheidungen im Einklang mit höheren Kräften zu treffen. Davon zeugen zahlreiche Funde auf den Erhöhungen rund um Quedlinburg, wie z.B. Hügelgräber, Steinsetzungen, Wall- und Burganlagen.

Zum Beispiel hat man ca. 2km nordwestlich von Quedlinburg 2005 während einer Notgrabung im Zuge des Baues der A36, an der 200 (!) Archäologen beteiligt waren, eine alte Ringanlage entdeckt, die dem Sonnenobservatorium von Goseck in Alter (ca. 7.000 Jahre) und Größe gleicht. Der Ort der Kreisgrabenanlage befindet sich westlich der Wüstung Marsleben, in alten Karten noch als Dorf zu finden. Heute donnert die Autobahn über diesen Ort.

Quedlinburg wird erstmals 922 als quitilingaburg in einer Urkunde König Heinrichs I. erwähnt. Auf welche Vergangenheit kann der Name hindeuten? Es kann nur alte Namen geben, die wir auch althochdeutsch schreiben können – das Q gab es damals noch nicht. In der Einführungszeit der neuhochdeutschen Sprache wurden das K und das G teilweise in Q umgewandelt. So weist die alte Silbe Ke (wie Ku, Ko, Kunne) auf den Kundigen / Könnenden und somit auf den König hin. Daher könnte es sich bei ketilingaburg – kuitilingaburg (?) um eine alte Gaustätte bzw. Königsstätte handeln. Linga weist evtl. auf Sprache / Wort hin. Burg ist das Bergende, Geborgene. „Das geborgene Königswort“ – wie poetisch! (1)

Der erste Bau auf dem Stiftsberg wurde 936 errichtet, es war eine Kapelle in einer Burganlage. In ihr wurde König Heinrich I. beigesetzt. Der Kirchenbau wurde im Zuge der Umwandlung der Burg in ein Damenstift erneuert, das war Bau II. Unter der Äbtissin Mathilde entstand ein weiterer Neubau (Bau III), der 997 in einem ersten Bauabschnitt fertiggestellt wurde. Davon sind heute noch Teile erhalten. Geweiht wurde Bau III im Jahr 1021, Kaiser Heinrich II war hier dabei. 1070 wurde diese Kirche durch einen Brand zerstört. Bald nach dem Brand begann man mit dem Bau der Kirche, so wie sie heute zu sehen ist. Und bereits 1129 wurde sie, jetzt unter Anwesenheit König Lothars III, wieder geweiht.

Auch in diesem Kirchenbau noch deutlich zu sehen: sächsisch-langobardische Einflüsse und vorchristliche Symbolik und Ornamentik.

Was ich so faszinierend finde, ist der Gegensatz zwischen diesem prächtigen, monumentalen Kirchenbau und den gemütlichen, kleinen Häuschen, die sich rund um den Stiftsberg schmiegen.

Nun haben wir uns wirklich eine Pause verdient – im „Café in 7 Hausern“. Die Räume des gemütlichen Cafés verteilen sich über das Parterre auf sieben alte, liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser aus dem 16. und 17. Jh. Jede der kleinen Stuben und Nischen ist gemütlich gestaltet, mal nur mit einem Tisch und zwei Stühlen, mal mit kuscheligen Sofas. Mittendrin geht es an der Küche und Konditoreistube vorbei. Überall sind alte Backgeräte, Dekorationen, antike Photos und Bilder zu entdecken. Die Auswahl an Kuchen und Torten ist phantastisch – hier findet jeder etwas für seinen Geschmack!

Unwillkürlich fühlst Du Dich von dem hübschen Fronthaus des Cafés aufgrund der Gemütlichkeit und Harmonie, die es ausstrahlt, angezogen. Woran das liegt? Vielleicht fühlt sich auch Dein Unterbewußtsein – Dein 7. Sinn – von der Aussage der Fachwerkfassade angesprochen. Möglicherweise sagt uns das Haus mit seiner Gebälkanordnung:

„Wir backen unsere Torten mit Hilfe göttlicher Führung (Odal im First), leben getreu unserer Bestimmung und Berufung und dienen damit rechtschaffen und getreulich unserer Kundschaft (Noth und Eh links und rechts in der 2. Etage), sowohl im absteigenden als auch im aufsteigenden Leben (balk und bar in der 1. Etage).“ – sehr frei interpretiert nach Stauff. (2) Und dies spürt man sehr eindrücklich beim Betreten des gastlichen Hauses.

Na, hast Du Lust auf Quedlinburg bekommen? Ich kann Dir versprechen, es lohnt sich wirklich, hier Zeit zu verbringen, alle Sinne werden reich belohnt. Ich wünsche Dir viel Freude dabei!

 

Quellen und Inspiration:

Wikipedia: Quedlinburg, Stift Quedlinburg, Stiftskirche St. Servatius, Marsleben, Liste von Fachwerkhäusern des 13. Jh. in Deutschland, Fachwerkmuseum Quedlinburg

Fachwerkmuseum im Ständerbau: https://www.quedlinburg-info.de/de/sehenswert/museen/details/fachwerkmuseum-im-staenderbau.html

Ingrids Welt – Führung durch Quedlinburg: https://www.ingrids-welt.de/reise/de/htm/quedlinburg.htm

Homepage der Welterbestadt Quedlinburg: https://www.quedlinburg.de/Unsere-Stadt/Welterbe/

Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte: https://www.fachwerk-arge.de/Rund-ums-Fachwerk/Ueber-das-Fachwerk.html

(1) Rainer Schulz „Die wahre Bedeutung der deutschen Ortsnamen“

(2) Philipp Stauff  „Runenhäuser“, Verlag Scheffer, Berlin-Lichterfelde, 1913